ADHS bei MÄDCHEN UND Frauen verstehen

22 Signale, die du kennen solltest

Bei Frauen und Mädchen präsentieren sich die ADHS-Symptome oft auf eine eigene Art und Weise. Viele der im Folgenden genannten Anzeichen können sich aber auch bei anderen ADHS-Betroffenen finden.

Zunächst ist wichtig zu wissen, dass bei Frauen und Mädchen häufiger der unaufmerksame Typ ADHS vorliegt. Früher noch ADS genannt, zeichnet sich dieser Subtyp vor allem durch eine internalisierte Symptomatik aus. Von außen betrachtet wirken Betroffene deshalb oft unauffällig. Im Gegensatz zum hyperaktiv-impulsiven Typ ADHS, stellt sich die vermehrte Unruhe eher wie ein tobender Sturm im Inneren dar.

22 Anzeichen, die Frauen mit ADHS dabei helfen, sich besser zu verstehen:

Verträumt in der Schule und aufbrausend zu Hause: Mädchen mit ADHS können im schulischen Umfeld verträumt, aber sonst unauffällig und kooperativ wirken. Manchmal trifft zu Hause das genaue Gegenteil zu. Wenn die Mädchen im Alltag stark maskieren, das heißt die Symptome überspielen, kann es zu Hause einen regelrechten Zusammenbruch und emotionale Gefühlsstürme geben. Es kann zu Wutausbrüchen, Schreien, Weinen, Verweigerung und Rückzugsverhalten kommen. Die Überlastung wird beim unaufmerksamen Typ ADHS oft nur zu Hause sichtbar, wohingegen das Kind in der Schule hilfsbereit, still und folgsam ist.

Wut und Reizbarkeit: Betroffene zeigen externalisierte oder internalisierte starke Wut und haben Probleme, mit den starken Gefühlen umzugehen. Sollte eine Situation die Emotion auslösen, bricht sie oft ungebremst hervor oder tobt lange und zerstörerisch im Inneren weiter. Das Bremspedal des Nervensystems scheint nicht richtig zu funktionieren, und Strategien zur Selbstberuhigung fehlen oder sind nur schwer umsetzbar. Auch Geschwisterstreit kann sich schnell hochschaukeln, besonders wenn beide Kinder zu explosiver Wut neigen.

Sensorisch schnell überstimuliert: Schon im Kindesalter kann eine Hypersensitivität gegenüber Umweltreizen wie Licht, Geräuschen und Gerüchen bestehen.

Perfektionistische Ansprüche an sich selbst: In Bezug auf soziale und geschlechtsspezifische Erwartungen an Frauen besteht die Neigung, alles richtig machen zu wollen, nicht negativ aufzufallen und hohe Ansprüche an sich selbst zu stellen. Unter der Maske versteckt liegen meist intensive Schamgefühle, nicht zu genügen und den perfektionistischen Standard nicht aufrechterhalten zu können.

Skin-picking, Nagelkauen, Stimming und andere repetitive Verhaltensweisen: Auch wenn die Tätigkeit schmerzhaft ist, führt sie zu Entspannung oder Erleichterung und kann häufig nicht gestoppt werden.

Störung der Exekutivfunktionen: Es zeigt sich in der Schwierigkeit, die Aufmerksamkeit zu steuern, beim Durchhalten von Plänen und Routinen sowie beim Aufrechterhalten von Strukturen. In der Schule können Hausaufgaben stundenlang dauern, während andere Kinder schneller fertig sind. Aufgaben werden vergessen, nicht beendet oder mit vielen Flüchtigkeitsfehlern abgeschlossen. Mit zunehmendem Alter treten zusätzliche Probleme mit Selbststrukturierung, Organisation und Zeitmanagement auf, die zu enormem Stress führen können. Frauen mit ADHS fühlen sich wie in einem Strudel aus Überforderung und Chaos gefangen. Sie brechen Ausbildungen häufiger ab und wechseln oft den Job. Obwohl sie sich bemühen, ihr Leben in Ordnung zu halten, gerät es immer wieder außer Kontrolle. Sie vergleichen sich mit anderen und fragen sich, wie diese scheinbar mühelos ein „normales“ Leben führen. Dies führt oft zu Selbstzweifeln und Minderwertigkeitsgefühlen. Neue Aufgaben lösen Ängste aus, aber dennoch schaffen es viele von ihnen, ihre Ängste lange Zeit zu verbergen.

Wirken naiv oder weniger intelligent, als sie sind: Frauen und Mädchen mit ADHS zeigen eine gewisse Unbeholfenheit in sozialen Dynamiken, die den Anschein von „Dummheit“ machen können. Dabei ist ihre Intelligenz in der Regel vollkommen normal. Der Grund ist ihre ständige Reizüberflutung, die die Konzentration beeinträchtigt und Überforderung auslöst. Nach außen kann dies wie ein Zustand von geistiger Abwesenheit, Naivität oder Dummheit wirken.

Das zentrale für Frauen mit ADHS ist das Verständnis dafür, warum sie sich von anderen unterscheiden und wie sie mit den Herausforderungen des Alltags umgehen, ohne sich selbst zu beschuldigen, sondern vielmehr anzuerkennen, dass ihr Gehirn auf eine einzigartige Weise arbeitet und ihr Erfolg ein Zeichen für ihren unermüdlichen Kampf ist.

Selbstbild passt nicht zur Außenwahrnehmung: Frauen mit der unaufmerksamen Variante von ADHS erleben oft, dass ihre Außenwirkung nicht zu ihrem inneren Erleben passt. Sie strahlen vielleicht Ruhe aus, aber fühlen in sich die Unruhe wie einen Sturm toben. Sie sind auf der Arbeit unter großer Anstrengung zuverlässig, aber können dann zu Hause im Chaos versinken. Ihre Batterien sind viel schneller leer, weil ihre Kompensationsstrategien, um nach außen alles perfekt wirken zu lassen, ihren Tribut fordern. Viele Frauen mit ADHS entwickeln deshalb Schuldgefühle und ein geringes Selbstwertgefühl, da sie sich so oft fragen, was mit ihnen nicht stimmt.

Schnell und viel reden: Es kann so wirken, als ob die Person nur einen Wortschwall über dich schüttet und kein richtiger Austausch zustande kommt. Auch das Herausplatzen und andere unterbrechen, weil nicht abgewartet werden kann, zählt dazu. Beim Zuhören kann eine große innere Anspannung entstehen, wenn man das Gesagte bereits beim ersten Wort verstanden hat, aber geduldig bis zum Ende des Satzes warten muss.

Den Gedankenstrom nicht abschalten können: Die Gedanken rasen unentwegt, wie ein Wirbelsturm, durch den Kopf. Während eines Gesprächs schweifen ADHS’lerinnen gedanklich schnell ab oder sie sind bereits zehn Schritte weiter und denken schneller als die Worte aus ihrem Mund herauskommen können.

Chronische psychische Beschwerden: Depressive Episoden, Angststörungen, Zwangsstörungen oder auch Essstörungen liegen gehäuft begleitend vor und verdecken manchmal das ADHS. Im Stillen müssen (vor allem nicht diagnostizierte) Mädchen und Frauen mit ADHS viele Kämpfe austragen, von denen das Umfeld lange nichts mitbekommt. Nicht nur während der Pubertät, sondern auch nach dem Auszug von zu Hause strengen sich die jungen Frauen bis zur äußersten Grenze an. Sobald sie am Ende ihrer Kraft ankommen, erleiden sie für andere völlig unvorhersehbar einen Zusammenbruch.

Fehldiagnosen und Unverständnis: Frauen, die unter Depressionen oder Ängsten leiden, suchen Hilfe und erhalten Behandlung für diese Erkrankungen. Dabei wird die zugrundeliegende ADHS immer noch zu häufig übersehen, da sie von der Depression oder Angsterkrankung überlagert wird. Eine unerkannte ADHS kann zu Frustrationen in der Therapie führen. Ratschläge zur Bewältigung des Alltags, Selbststrukturierung und To-Do Listen oder Planern laufen ins Leere. Schließlich haben die meisten Menschen mit ADHS oft bereits alle erdenklichen Strategien ausprobiert, um ihr Chaos in den Griff zu bekommen. Die entstehende Frustration und Konflikte gefährden die Therapie und können zum Abbruch führen. Manche Therapeut*innen deuten den ausbleibenden Fortschritt bei der Therapie fälschlicherweise auch als mangelnde Kooperationsbereitschaft und Verantwortungsübernahme ihrer Klient*innen.

Trauma: Wir wissen, dass Mädchen, die zum Beispiel ADHS haben, ein höheres Risiko für Misshandlung zu Hause und Mobbing durch Gleichaltrige haben. Eltern könnten ebenfalls nicht diagnostiziertes ADHS oder andere psychische Erkrankungen haben, die ihre Impulskontrolle und Emotionsregulation betreffen. Zudem besteht bei nicht erkanntem ADHS ein erhöhtes Risiko für Drogen- oder Alkoholmissbrauch. Insgesamt sind eine hohe Stressbelastung und auch traumatische Kindheitserfahrungen wahrscheinlich.

Substanzgebrauch und -missbrauch: Frauen, die nicht wissen, dass sie ADHS haben, versuchen manchmal sich selbst zu behandeln. In Fachkreisen wird dies auch als Selbstmedikation bezeichnet. Der Konsum von Alkohol oder Marihuana hilft ihnen dabei, ihre Symptome in den Griff zu bekommen.

Selbstverletzendes Verhalten: Alle Formen von selbstverletzendem Verhalten können auftreten. Ursachen für selbstverletzendes Verhalten bei Frauen mit ADHS umfassen niedriges Selbstwertgefühl, begleitende innere und äußere psychische Störungen, gestörte Vater-Tochter-Beziehung (nicht jedoch Mutter-Tochter-Beziehung), sowie Lernschwierigkeiten. Oftmals erleben Mädchen und Frauen mit ADHS Ausgrenzung und Mobbing.

Risikoverhalten in Bezug auf die Sexualität und sexuelle Kontakte: Das kann in Zusammenhang mit erhöhter Impulsivität oder dem Bedürfnis nach Nähe und Beziehung, das auf diese Weise erfüllt werden könnte stehen. Das Risiko, Opfer von Missbrauch zu werden, ist erhöht, und Schwangerschaften im Teenager-Alter sind häufig bei ADHS-betroffenen Frauen zu finden.

Erhöhte Ablehnungsempfindlichkeit (Rejection-Sensitive Dysphoria): Es ist nicht einfach Angst vor Ablehnung, die Frauen mit ADHS oft im Griff hat, sondern viele von ihnen leiden ich an Rejection Sensitive Dysphoria. RSD ist ein Phänomen, das dank der neurologischen Besonderheiten bei fast allen Menschen mit AD(H)S auftritt. Dysphorie bedeutet „großer Schmerz“ und eine wahrgenommene Zurückweisung, ob real oder eingebildet, löst bei Menschen mit ADHS genau das aus: einen fast unerträglichen Schmerz. Kritik oder Feedback von anderen können zu dieser starken emotionalen Verletzung führen, da das Gehirn die Signale verstärkt überträgt. Die Intensität ist also wie durch einen Lautstärkeregler aufgedreht. Die Zurückweisungssensibilität kommt dann oft mit einem geringen Selbstwertgefühlt und vergangenen schmerzhaften Erfahrungen von Ausgrenzung und Ablehnung zusammen.

Gefühle werden intensiver gefühlt: ADHS ist mit stärkeren, plötzlicheren und ungezähmteren Emotionen verbunden. Es gibt immer wieder Schwierigkeiten, die emotionale Intensität oder den emotionalen Zustand an die Situation anzupassen. Zudem erleben viele Betroffene im Laufe des Tages häufige Gefühlsschwankungen und Wechsel in der Stimmungslage.

Starke Angst davor, andere zu enttäuschen: Die Angst vor Ablehnung führt zu einer starken Konfliktangst. Dazu kommen perfektionistische Ansprüche an sich selbst, die oft auch damit in Verbindung stehen, andere nicht enttäuschen zu wollen. Alles zusammen bildet ein emotionales Tretminenfeld, das bei vielen zu Befangenheit und Selbstsabotage führen kann.

Schlafprobleme oder Schlafstörungen: Viele ADHS’lerinnen können abends den Kopf nicht abschalten, und die rasenden Gedanken halten sie trotz Müdigkeit lange wach. Manche Frauen sind auch Nachteulen und erleben abends einen Energieschub, den sie nutzen, um aufgeschobene Sachen noch zu erledigen oder bis spät in die Nacht zu arbeiten. Auch die körperliche Ruhelosigkeit zieht sich bis in den Schlaf. Häufiges Hin- und Herumwälzen, Treten oder häufiges Erwachen durch Umgebungsgeräusche beeinträchtigen die Erholsamkeit des Schlafs. Die schlechte Schlafqualität kann wiederum zu Problemen beim Wachwerden führen, sodass viele Menschen mit ADHS sich erst um die Mittagszeit richtig wach fühlen. Durch schlechten oder mangelnden Schlaf können wiederum die ADHS-Symptome wie Konzentrationsstörungen, Aufmerksamkeitsprobleme und Reizbarkeit verstärkt werden.

Gefühlschaos verstärkt durch hormonelle Schwankungen: Die Pubertät stellt für jedes Mädchen und jeden Jungen eine turbulente Zeit dar. Doch wenn ADHS ins Spiel kommt, entstehen viele zusätzliche und oft unsichtbare Herausforderungen. Die Heranwachsenden werden häufig von ihren Emotionen überwältigt. Die ADHS-Symptome machen die Gefühlsachterbahn noch wilder und intensiver. Auch die Probleme mit der Konzentration, Unruhe und Desorganisation schwanken stark. Mädchen mit ADHS müssen zusätzlich zu den „normalen“ Herausforderungen der Pubertät mit den verstärkenden Effekten der Hormone kämpfen. Viele Frauen, die von ADHS betroffen sind, reagieren besonders empfindlich auf hormonelle Veränderungen. Kurz vor Beginn ihrer Menstruation verstärken sich die ADHS-Symptome, vor allem die Stimmungsschwankungen nehmen zu. In dieser Zeit sind die Frauen ihren Gefühlen stärker ausgesetzt als sonst. Die Herausforderungen, sich zu konzentrieren und bei einer Aufgabe zu bleiben, werden größer. Viele ADHS-betroffene Frauen leiden unter dem prämenstruellen Syndrom (PMS), und die hohe Empfindlichkeit ihrer Symptome gegenüber hormonellen Schwankungen macht es ihnen besonders schwer.

Herausforderung der Wechseljahre: Die Hormone schwanken erneut, und die Veränderungen sind kaum zu managen. Plötzliche Stimmungsschwankungen treten auf, begleitet von unkontrollierten Ausbrüchen, auf die das Umfeld in der Regel mit Unverständnis reagiert. Nach und nach werden betroffene Frauen als übermäßig sensibel und nicht belastbar abgestempelt. Die Konzentration schwindet schneller denn je, und der Fokus kann noch weniger aufrechterhalten werden, wo es erforderlich ist. Dies ist erneut eine Zeit, in der viele Frauen es schwer haben, aber von Frauen mit ADHS wirklich alles abverlangt wird. Ihr Arbeitstempo verlangsamt sich, weil sie ihre langjährigen Kompensationsstrategien aus übermäßiger Gewissenhaftigkeit und Perfektionismus anwenden. Während ihre extreme Anstrengung und Erschöpfung übersehen werden, werden sie von Mitmenschen als lethargisch oder faul verurteilt. Aus dem stillen Leid der Frauen und dem Unverständnis des Umfeldes entstehen neue Konflikte im Berufs- und Sozialleben. Es gibt somit zahlreiche Risikofaktoren, die zu Ängsten, Depressionen und Burnout führen können.